Train hard, race easy – das ist ein Mythos, denn je fitter ein Athlet ist, desto mehr kann er sich in einem Rennen quälen. Ein Wettkampf wird somit nicht zwingend leichter, sondern der Sportler kann mit dem richtigen mentalen Einsatz seine körperliche Leistungsgrenze weiter ausdehnen.
Körperliche Leistung erfordert Selbstkontrolle - das ist mental sehr anstrengend. Wir tendieren dazu, diesen hohen Anstrengungen geistig auszuweichen. Schweifst du während des Trainings gedanklich ab, wird für dich schwerer, die nötige Selbstkontrolle aufrechtzuerhalten. Das erhöht die Gefahr, dass du langsamer wirst oder sogar aufgibst. Es fällt dir leichter, diesem Impuls des Nachlassens zu widerstehen, wenn du übst, deine begrenzte Aufmerksamkeit bewusst zu steuern.
Unser Gehirn funktioniert so, dass es von einem tollen Rennen vor allem das Hochgefühl speichert. Bei einem enttäuschenden Verlauf bleibt dagegen eher der zähe Kampf ohne Erfolg in unserem Kopf hängen.
Die eigene Wahrnehmung, also der Abgleich zwischen Ist- und Soll-Zustand, beeinflusst uns nicht nur nach einem Rennen, sondern bereits währenddessen. Bei einem langen Ausdauertraining oder Wettkampf stellt das Gehirn permanent einen Abgleich zwischen Erwartung und Ist-Zustand her und wird entsprechend mit unterstützenden Endorphinen oder mit Frustration reagieren. Der Kopf spielt also eine entscheidende Rolle bei dem, was wir während und nach einem Wettkampf oder Training empfinden. Demnach gilt ein Sportler als mental stark, wenn er es schafft, sich aufgrund seiner Denkprozesse in eine bessere Ausgangsposition zu bringen.
Woran musst du beim Training und Wettkampf denken, um mentale Stärke zu zeigen? Lass uns mit einem Experiment beginnen: Leg Dein Handy kurz zur Seite und geh in zügigem Tempo durch den Raum. Berechne dabei im Kopf 23 mal 78, bevor du weiterliest.
Bist du zum Rechnen stehen geblieben oder langsamer geworden? Das liegt daran, dass körperliche Aktivität und anstrengendes Denken miteinander konkurrieren - denn beide schöpfen aus einem begrenzten Pool mentaler Arbeitskraft. (Die Lösung lautet übrigens 1.794.)
Jemand, der auf dem Ergometer sitzt und dabei ein Buch liest, hat nicht ausreichend freie mentale Kapazitäten, um gleichzeitig ein anspruchsvolles Tempo zu halten. Es fehlt die Selbstkontrolle fürs zügige Radeln, da er die Konzentration schon zum Lesen braucht. Man muss sich entscheiden: weniger lesen oder langsamer werden. Beim gleichzeitigen Lesen ist höchstens eine lockere Spazierfahrt möglich.
Weil Selbstkontrolle zur Beibehaltung einer fordernden Aufgabe mental sehr anstrengend ist, möchte unser Kopf gerne ausweichen. Wer eine Intervalleinheit absolviert, wird sich vielleicht dabei ertappen, wie er versucht ist, gedanklich abzuschweifen. Wenn das passiert, drosselt sich automatisch die Fähigkeit, die Intensität aufrechtzuerhalten, und man wird langsamer. Das heißt, du musst deine Aufmerksamkeit weitgehend auf die Aktivität richten, wenn du erfolgreich im oberen Intensitätsbereich Sport treiben willst. Anstrengende Gedanken, etwa über den Job oder Beziehungsprobleme, müssen hier ausgeblendet werden. Das bedeutet auch: Je mehr Themen dich gerade beschäftigen (zum Beispiel Stress im Job, Beziehungsprobleme, materielle Sorgen oder Ängste), desto höher ist die Auslastung des mentalen Pools - und umso schwieriger wird es, noch genügend Selbstkontrolle für andere Lebensbereiche aufzubringen, wie etwa körperliche Höchstleistung oder eine gesunde Ernährung. Bei der sogenannten mentalen Selbsterschöpfung fällt es schwerer, Ablenkungen zu widerstehen.
Regeneration
Es ist vielleicht das Wichtigste, sich das Nicht-perfekt-Sein zu erlauben und so den (alltäglichen) Leistungsdruck etwas zu reduzieren. Ansonsten rattern wir direkt in die mentale Selbsterschöpfung und ein Leistungstief. Achte also auf eine ausreichende Erholung. Auch die Ernährung spielt hier eine Schlüsselrolle. Während des Trainings solltest du unbedingt die vorgegebene Pausenzeit (zum Beispiel 45 Sekunden) zwischen den Intervallen oder Sätzen voll einhalten.
Aufgabenorientierung
Mit dem Anstieg des Tempos schränkt sich die Aufmerksamkeit immer weiter ein, daher unterscheidet man im Ausdauersport nach Intensitätsstufen. Wenn die Intensität im sehr ruhigen Grundlagenausdauerbereich angesiedelt ist - du dich also nur locker bewegst -, ist es dir meist noch möglich, über den Arbeitstag nachzudenken, fernzusehen, in einem Magazin zu blättern oder vom letzten Date zu träumen. Diejenigen, die während einer Cardio-Einheit hohe Intensitäten erreichen wollen, sollten sich weitgehend aufgabenorientiert auf das Hier und Jetzt konzentrieren: Was davor war und was danach sein wird, musst du ausblenden. Bleibst du bei der Sache, erhöhst du erwiesenermaßen deine Chancen, in den "Flow" zu kommen - ein Gefühl von totaler Konzentration auf die Aufgabe. Sportler berichten dann oft von einer Verengung ihres Fokus. Gelingt die Synchronisation aus Gedanken und Bewegungsabläufen, stellt sich dieses Erlebnis häufig ein. Wer übrigens beim Training im Team (zum Beispiel einem gemeinsamen Lauf) zu sehr auf die anderen achtet, riskiert, dass er die Aufgabe aus dem Blick verliert. Schließlich können wir nicht kontrollieren, wie schnell andere Menschen sind - aber wir können dafür sorgen, dass wir unser Bestes geben. Das Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten ist eine weitere begünstigende Voraussetzung, um einen Flow-Zustand zu erfahren. Eine starke Wettbewerbsorientierung wird dagegen eher von Angst gesteuert und kann daher ein Hindernis für den Flow sein. Wichtig ist, dass du bildlich gesprochen die "Distanz-Torte" bei einer Cardio-Einheit gedanklich aufteilst und in kleinen Stücken zu dir nimmst. Vor allem, wenn du im hohen Intensitätsbereich unterwegs bist, wird es dich frustrieren, an die gesamte Strecke zu denken. Es ist sinnvoll, sich kleine, überschaubare Streckenabschnitte als Unterziele herauszupicken und immer nur Abschnitt für Abschnitt zu denken. Erfolgreiche Athleten steuern nach einer mentalen Ablenkung (Gegner, Sorgen, Hindernis et cetara) so schnell wie möglich wieder die aufgabenorientierte Fokussierung an.
Einfache Kommandos helfen, gedanklich bei der Sache zu bleiben. Wichtig dabei: eine kurze, positive und aktive Formulierung. Ziel ist, dass du dir genau diese Kommandos einprägst und sie dir selbst vorsagen kannst, wenn es darauf ankommt. Gute Beispiele sind: "Atmen. Bleib dran. Halt durch. Das schaffst Du." "Aggressiv laufen, Kopf nach unten, Hände locker."
Damit sagst du dir als Sportler wie einem Navigationssystem, was deine Aufgabe im Hier und Jetzt ist: Rhythmus und Tempo halten. Natürlich kann keiner über mehrere Stunden ausschließlich in Kurzkommandos denken. Dennoch ist es sinnvoll, immer daran zu arbeiten, einen Leistungsabfall durch störende Gedanken klein zu halten.
Für Sportler die wettkampfspezifisch trainieren, ist es wichtig, die Aufmerksamkeit situationsspezifisch steuern zu können. Dazu müssen sie in der Lage sein, ihre Aufmerksamkeit flexibel an die jeweilige Anforderung anzupassen. Der amerikanische Sportpsychologe Robert M. Nideffer beschreibt in seinem Modell die Lenkung der Aufmerksamkeit als wichtige Voraussetzung für leistungsoptimales Handeln im Sport. Eine permanente Fokusverschiebung während des Trainings ist notwendig für eine optimale Leistung. Wenn du im Fitnessstudio trainierst, musst du nicht mit Verkehrshindernissen rechnen, du kannst vor allem auf dich selbst achten (eng - innen), auf die eigene Atmung, auf den Bewegungsablauf als Ganzes. Spürst du, dass du zu langsam wirst, konzentrierst du dich auf das Wesentliche (eng - außen), zum Beispiel auf die Anzeige der Schrittfrequenz, des Pulsschlags oder der Geschwindigkeit auf dem Messgerät. Beim Ergometer oder dem Crosstrainer kann das auch die Wattzahl sein. Oder du hörst einfach auf den treibenden Beat eines Songs. Wie wäre es zum Beispiel mit "Pretty Fly" von Offspring? Musik kann sehr motivierend sein. Nicht ohne Grund ist es bei Ironman-Veranstaltungen verboten, Musik im Wettkampf zu hören.