Schwangere sollten sich schonen und auf keinen Fall zu schwer heben und nach der Entbindung erst einmal sechs bis acht Wochen regenerieren. Sport und Fitness sind tabu. Stimmt das wirklich? Oder sind das längst veraltete Ansichten? Darüber haben wir mit Paulina Ioannidou im Interview gesprochen.
- Die Wissenslücke in Deutschland bezüglich dem Krafttraining in und nach der Schwangerschaft, ist immer noch sehr groß.
- Das Training an Geräten in Fitnessstudios birgt jedoch kein Risiko für eine schwangere Frau.
- Die Belastung der Trainingseinheiten muss allerdings angepasst werden, da sich die subjektive Anstrengung verändert.
- Beim Wiedereinstieg ins Training muss berücksichtigt werden, ob es eine spontane Entbindung oder ein Kaiserschnitt war und wie hoch die Verletzung der Frau ist.
BODYMEDIA: Wie kam es dazu, dass du dich mit dem Thema Training in der Schwangerschaft beschäftigt hast?
Paulina Ioannidou: Kurz nach meinem letzten MMA-Kampf im November 2019 wurde ich schwanger. Seit diesem Zeitpunkt beschäftige ich mich mit dem Thema. Gleich zu Beginn wollte ich von meiner Gynäkologin wissen, ob ich in der Schwangerschaft trainieren kann. Ihre Aussagen waren mir allerdings zu schwammig, sodass ich mich selbst mit den neuesten wissenschaftlichen Studien beschäftigt habe.
Es gibt sehr viele wissenschaftliche Publikationen, wie z. B. das British Journal of Sport Medicine, die 150 bis 200 Minuten Sport für schwangere Frauen empfehlen, damit die Gesunderhaltung für Mutter und Kind gegeben ist. In Deutschland ist es allerdings so, dass man immer noch eher vorsichtige Aussagen, bezüglich Training in der Schwangerschaft, treffen möchte. Das hängt damit zusammen, dass sich weder Hebammen noch Gynäkologinnen oder Therapeutinnen rechtlich absichern können, wenn sie diesbezüglich Empfehlungen aussprechen.
Allerdings ist die Datenlage so gut und sicher, dass Schwangere auf jeden Fall Sport treiben dürfen. Vor allem wenn die Frauen aus dem Leistungssport kommen, können sie bis zu einem gewissen Grad ihrer Sportart nachgehen. Natürlich muss man unterscheiden, welche Sportart die Person macht. Kampfsport, so wie ich es betrieben habe, ist natürlich nicht möglich. Allerdings ist modifiziertes Training, also z. B. Boxen gegen den Sandsack, durchaus in Ordnung oder man kann Kraft- oder Ausdauerkomponenten, wie Fahrradfahren oder Gewichtheben, in das Workout integrieren.
Eine Schwangerschaft ist nicht mit einem Sportstop gleichzusetzen, vielmehr lautet die Herausforderung, wie man gerade Leistungssportlerinnen bestmöglich vorbereitet, dass sie wieder in ihren Beruf zurückkehren können. Das hat man bisher leider viel zu stark vernachlässigt. Eine schwangere Frau ist nicht krank und alles andere als schwach, sodass sie im Bett liegen müsste. Von diesem Bild muss man sich lösen.
BODYMEDIA: Gibt es Phasen während der Schwangerschaft, gerade kurz vor der Geburt, in denen du dazu rätst, das Training herunterzufahren oder gar komplett auszusetzen?
Paulina Ioannidou: Man muss zunächst einmal unterscheiden, was die Frauen machen. In der Selbstständigkeit z. B. haben die Frauen keinen Mutterschutz, sodass viele Frauen gezwungen sind, bis zum Tag der Entbindung zu arbeiten. Ich selbst war noch drei Tage vor der Entbindung in der Praxis. Wir haben ja Schwankungen um den Entbindungstermin von ein bis zwei Wochen. Daher ist es schwer zu sagen, bis wann Schwangere trainieren können.
Das Training muss allerdings angepasst werden. Während den 40 Schwangerschaftswochen nehmen die meisten Frauen zwischen 8 und 16 Kilogramm zu, sodass die Belastbarkeit irgendwann weniger wird. Mit 16 Kilogramm on top können z. B. die Distanzen, die zuvor auf dem Fahrrad kein Problem waren, nicht mehr bewältigt werden, da sich die subjektive Anstrengung verändert.
Das letzte Trimester, also die Phase, in der der Bauch am größten ist, ist am anstrengendsten. Man benötigt mehr Herzschlagvolumen, es muss mehr geatmet werden, das Herz muss sehr viel leisten und alles ist sehr anstrengend. Daran passt sich das Training gegen Ende der Schwangerschaft dann auch tatsächlich an, sodass Frauen automatisch ihr Bewegungsverhalten verändern.
BODYMEDIA: Gibt es konkrete Empfehlungen, wie man den Trainingsplan in der Schwangerschaft gestalten sollte? Gibt es Anhaltspunkte, nach denen man sich richten kann, um kein Risiko einzugehen?
Paulina Ioannidou: Ein absolutes No-Go sind in erster Linie Kontaktsportarten oder Sportarten, die mit einem gewissen Verletzungsrisiko verbunden sind, wie z. B. Mountainbiking, Schlittschuhlaufen oder Inlinern. Hier ist man einem erhöhten Sturzrisiko ausgesetzt. In der Schwangerschaft verändert sich die komplette Körperzusammensetzung und der Körperschwerpunkt verlagert sich. Das heißt, alles, was in gewissen Höhen stattfindet, wie Klettern und Bouldern, würde ich nicht ausführen.
Wir können, und das ist abhängig vom Trainingszustand der Schwangeren, in hohen Herzfrequenzen arbeiten. Frauen, die vor der Schwangerschaft z. B. HIT-Training absolviert haben, sollten mit Belastungen von maximal 60 bis 70 % trainieren. Das sind Daten, mit denen viele Frauen nichts anfangen können. Wenn man komplett sichergehen möchte, ist es ratsam, mit einem Pulsgurt zu trainieren.
Ein weiterer Punkt, der sich anbietet, ist es, mit subjektiven Belastungsskalen zu arbeiten. Gerade für Schwangere, die zuvor gar keinen Sport gemacht haben, ist es wichtig, die eigene Anstrengung auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Ausgehend von 10 als Höchstwert sollte der Anstrengungsgrad von 6 bis 7 nicht überschritten werden. Frauen, die aus dem Leistungssport kommen, können deutlich intensiver trainieren und den Bereich 8 bis 9 anvisieren.
Die subjektive Belastungsskala passt sich im Verlauf der Schwangerschaft ebenfalls automatisch an die körperlichen Voraussetzungen an. Konnte zu Beginn der Schwangerschaft z. B. beim Kreuzheben etwa ein Gewicht von 50 Kilogramm noch problemlos zehnmal gestemmt werden, so ist es am Ende der Schwangerschaft deutlich anstrengender, das Gewicht zu heben, weil der Bauch größer und das Körpergewicht und das Volumen viel höher sind.
BODYMEDIA: Für viele sportliche Frauen ist es wichtig, nach der Schwangerschaft wieder schnellstmöglich mit dem Training zu beginnen. Welche Empfehlungen hast du für den Wiedereinstieg ins Training?
Paulina Ioannidou: In erster Linie muss man auf die Geburt schauen, d. h., wie die Frau entbunden hat. Berücksichtigt werden muss, ob es eine spontane Entbindung oder ein Kaiserschnitt war und wie hoch die Verletzung der Frau ist. Bei einer spontanen Entbindung ohne Verletzungen, wie z. B. Darmriss, sträube ich mich gegen das sogenannte Sechs-Wochen-Bett. Sechs Wochen muss keine Frau liegen.
In der ersten Woche muss man sich zunächst einmal mit dem Stillen und Füttern auseinandersetzen und dann kann man eigentlich schon, sofern man das Bedürfnis hat, ab dem ersten Tag etwas machen. Es gibt sehr viele Übungen, die keine hohe Beckenbodenbelastung haben. Man kann z. B. Übungen mit dem Miniband oder auch eine Hüftbrücke machen. Zudem kann man sehr viele Übungen im Sitzen mit Widerstandsbändern machen, es können tatsächlich auch Bizepscurls über Kopf mit leichten Kurzhanteln durchgeführt werden, um einfach ein bisschen den Kreislauf anzuregen.
Es ist immer relevant zu schauen, dass der Bereich, der durch die Geburt am meisten beansprucht wurde, trainiert wird. Neben dem Beckenboden sollten also auch Übungen für den Bauch und Rumpf gemacht werden. Das war lange Zeit ein absolutes No-Go. Diese Skepsis wurde aber wissenschaftlich widerlegt. Diese Übungen kann man bereits in den ersten Wochen nach der Entbindung durchführen. Es gibt ganz strikte Guidelines, z. B. ab dem dritten Monat, wie man wieder ins „Laufen” kommt. Da bedarf es allerdings tatsächlich individueller Betreuung.
BODYMEDIA: Wie treibst du das Thema Training in der Schwangerschaft voran, damit es auch in Deutschland zu einem Umdenken kommt? Bist du im Austausch mit Ärzten? Und forschst du selbst?
Paulina Ioannidou: Im Gesundheitssystem möchte man natürlich, dass alle Zahnräder ineinandergreifen. Ich als Therapeutin möchte, dass sowohl Hebammen, Gynäkologinnen und auch Personal Trainer in der Lage sind, nach Richtlinien zu arbeiten. Wenn wir uns in anderen Ländern umschauen, wie z. B. Kanada oder speziell auch der Schweiz, stellt man fest, dass man dort eine ganz platte Hierarchie, was Ärzte und Therapeuten angeht, vorfindet. Wenn ich dort meine Vorträge halte, nimmt man ein ganz anderes Aufnahmeverhalten der Ärzte wahr.
In Deutschland dagegen ist die Hierarchie noch recht groß. Das heißt, dass sich ein Oberarzt in der Regel nichts von einer Therapeutin sagen lässt. Ärzte sind für ihren Aufgabenbereich zuständig, sind aber keine Sportwissenschaftler. Genauso wenig wie eine Hebamme vielleicht auch weiß, was es heißt, wenn die Person vor der Schwangerschaft eine hohe Belastung hatte.
Ich gehe schon aktiv auf Gynäkologen und Hebammen zu. Ich veröffentliche auch immer wieder Inhalte, schreibe kleinere Bücher und biete den Austausch mit Kolleginnen an, sodass sie sich speziell über dieses Thema informieren können.
BODYMEDIA: Du bist Physiotherapeutin. Kommen mittlerweile vermehrt Kundinnen zu dir, die schwanger sind oder gerade entbunden haben und Tipps hinsichtlich ihres Trainings bei dir suchen?
Paulina Ioannidou: Das hat sich die letzten Jahre extrem entwickelt, weil einfach diese Wissenslücke in Deutschland, gerade was das Krafttraining in und nach der Schwangerschaft angeht, immer noch sehr groß ist. Wir haben ja die vergangenen Jahre auch vermehrt die Professionalisierung des Leistungssports bei Frauen erlebt. Viele Sportlerinnen haben Kinder bekommen und galten als eine Art Vorbild. Viele Frauen sind gerade aus dem Umkreis von Köln zu mir gekommen, mit dem Wunsch, auch nach der Geburt wieder zu trainieren.
Auch die Zahl der Onlineberatungen hat deutlich zugenommen. Die Frauen erhalten einen guten Leitfaden, bekommen einen Trainingsplan an die Hand, erhalten regelmäßiges Feedback von mir, sodass ich immer eine gute Überwachung habe, vor allem wenn es Frauen sind, die vor der Schwangerschaft nicht so viel Sport getrieben haben.
BODYMEDIA: Welche Ratschläge kannst du Fitnessstudiobetreibern geben, die sowohl für Schwangere als auch Kinder spezielle Angebote haben?
Paulina Ioannidou: Das Training an Geräten in Fitnessstudios ist für Schwangere super. Da kann nichts passieren. Eine gerätegeführte Trainingseinheit birgt absolut kein Risiko für eine schwangere Frau. Ab- und Adduktorenmaschinen, Kabel- und Ruderzug z. B. können in der Schwangerschaft problemlos genutzt werden.
Junge Mütter haben dagegen eher das Problem, dass sie nicht ins Studio gehen können, weil Kleinkinder in vielen Anlagen nicht gestattet sind. Vielleicht muss es hier seitens der Fitnessstudios zukünftig ein Umdenken geben. Denn es ist so wichtig, dass die Frauen nach der Schwangerschaft wieder fit werden. Ohne den Besuch im Studio ist es für die Frauen sehr schwierig, wieder ins Training zu kommen.
BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview
Quelle: BODYMEDIA